Kapitel VIII

[one-half][dropcap]D[/dropcap]ann waren sie da, die sechziger Jahre. Das Jahr 1961 brachte einige Veränderungen mit sich. Da war einerseits diese Witzfigur im kurzärmeligen Hemd und Spitzbart, die mit näselnder Sing-Sang-Stimme im Fernsehen erzählte: “Niemand hat vor eine Mauer zu errichten …”, und da war meine Mutter, die ganz offen zu den Mauern stand, die sie baute, nämlich ein Haus, im Garten ihrer Eltern. Die Gemeinsamkeit daran ist: In der Politik gibt es immer noch Witzfiguren und unser Haus steht auch noch.

Die Mauer zwischen den beiden deutschen Staaten aber ist Gottseidank genauso Geschichte wie das Regime, das sie errichtete.

Mein Vater brauchte noch einen kleinen Schubser, bis er endlich nach Leiferde zog und meine Mutter heiratete. Dieser Schubser erblickte am 1. Mai 1965 das Licht der Welt und schreibt gerade das 8. Kapitel dieser Geschichte.

Und so lebte auf dem Grundstück, das mein Großvater 1926 erworben hatte und auf dem zwei Jahre später im Haus meiner Großeltern meine Mutter zur Welt kam, eine neue Familie und übernahm langsam aber sicher das Ruder. Auch der Garten wurde etwas familien- und kindgerechter gestaltet, und wo früher Kohlrabi, Möhren und allerlei anderes Gemüse seinen Platz gefunden hatte, war jetzt auch eine kleine Rasenfläche entstanden. Nur im hinteren Teil des Gartens gab es noch einige Beete und darin stand, inzwischen seit mehr als dreißig Jahren, diese eine Rose, die sich meine Großmutter so gewünscht hatte.[/one-half][one-half last]

Mit dem Mauerbau hatte der Briefkontakt zwischen ihrem Züchter und meinem Großvater geendet. Aber mein Großvater hatte noch erfahren, dass aus den zahlreichen Weiterzüchtungen dieser Rose, die “Gloria Dei” entstanden war. Und so sagte mein Großvater oft zu meiner Mutter, dass sie eine “Gloria Dei” kaufen solle, wenn diese alte Rose einmal eingehen würde.

Das Haus meiner Großeltern war eine Doppelhaushälfte. Eigentlich hatte mein Großvater die zweite Hälfte für seinen Bruder vorgesehen, aber als dieser plötzlich doch nicht aus der Mitte des Dorfes wegziehen wollte, wurde der Rohbau kurzerhand verkauft.

1970 kaufte meine Mutter mit Hilfe meiner Großeltern diese Hälfte samt Grundstück zurück. Die zweite Haushälfte wurde renoviert und aus den beiden Geschossen zwei kleine Wohnungen gemacht. Die ersten Mieter meiner Eltern waren zwei griechische Familien mit Kindern in meinem Alter.

In den folgenden sieben Jahren wurden diese Familien ein Stück meines Lebens, das ich keinesfalls missen möchte. Und da ich heute, am 29. Februar 2012 einen dieser wunderbaren Menschen zu Grabe tragen musste, widme ich diesem warmherzigen und liebeswürdigen Mann dieses Kapitel.

Efcharisto.[/one-half]

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