Kapitel II

[one-half][dropcap]E[/dropcap]igentlich wollte ich hier ja nur kurz berichten, wie unsere Zuchtstätte zu ihrem Namen kam. Aber all das ist mit der Geschichte meiner Familie verknüpft und so lieber Leser, sehe ich mich gezwungen, etwas weiter auszuholen:

1933 war kein gutes Jahr. In Berlin kam ein Mann an die Macht, der die Welt ins Unheil stürzen sollte, und mein Vater, gerade einmal zwanzig Jahre alt, verlor seinen Vater. Die Familie meines Vaters lebte zu dieser Zeit in Olmütz und betrieb eine Metallwarenfabrik.

Begonnen hatte alles um 1880 in einer winzigen Erdgeschosswohnung mitten in der Altstadt. Meine Urgroßmutter hatte die Idee gehabt, Vogelkäfige aus einfachem verzinkten Draht zu löten. Wenige Jahre später war daraus ein florierendes Geschäft geworden, das die engen Grenzen der kleinen Wohnung zu sprengen drohte.

jko-webAlso kaufte meine Urgroßmutter vor den Toren der Stadt, jenseits der March ein Grundstück und baute darauf ein großes Haus für die Familie, die Werkstätten und einige Mieter. Die „Julius Kremer Vogelkäfigfabrik“ entstand, benannt nach meinem Urgroßvater. Frauen hatten damals noch keine eigenen Unternehmen. Ihre Tochter heiratete Anfang des 20ten Jahrhunderts einen jungen und vielversprechenden Rechtsanwalt, meinen Großvater. Im Jahre 1913 wurde mein Vater geboren. Der erste Weltkrieg führte dazu, dass die Tschechoslowakei entstand, mein Vater war jedoch noch ein gebürtiger Österreicher.

Im Jahre 1933 stand dieser junge Mann also plötzlich ohne Vater da, mit einer liebenswerten und wunderbaren, aber immer etwas zerstreuten Mutter, seiner über 80jährigen Großmutter und einem Unternehmen, das einen Chef brauchte.

Das Unternehmen JKO bekam einen jungen, aufgeschlossenen Geschäftsführer, der es schaffte, die Produktpalette zu erweitern und vielen Arbeitern zu Lohn und Brot zu verhelfen. [/one-half][one-half last]Die Wirtschaft kam gerade wieder in Schwung, Dinge des alltäglichen Lebens, wie Brotkästen aus Metall, Kamingitter und vieles mehr waren plötzlich wieder gefragt. Natürlich konnte man auch in Olmütz (heute Olomouc in Tschechien) die Stimme des großen Diktators aus Berlin hören, aber Wien und Österreich war nahe und der Österreicher schon damals etwas gelassener als seine nördlichen Nachbarn. Und so kam es, dass die Welt meines Vaters so völlig anders aussah, als das, was die Familie meiner Mutter in dieser Zeit erlebte.

Doch irgendwann rückte auch das Sudetenland und Österreich in den Mittelpunkt der Geschichte und nur kurze Zeit später begann der zweite Weltkrieg, der das Leben meines Vaters von Grund auf verändern sollte.

Die JKO war nicht auf eine Kriegsproduktion vorbereitet und so wurde meinem Vater jemand vor die Nase gesetzt, um diesen Missstand zu ändern. Es waren Stahlhelme und Munitionshülsen gefragt, keine Vogelkäfige und Brotkästen. Da mein Vater praktisch überflüssig war und eine Einberufung zur Wehrmacht nur noch eine Frage der Zeit war, meldete sich mein Vater freiwillig. Er hatte in den späten 20er Jahren zu den ersten Funkamateuren Europas gehört und konnte sich aufgrund seines Wissens in eine Abteilung des Heeres melden, die sich mit den Anfängen des Radars beschäftigte. So war mein Vater nie direkt an der Front und konnte sich aus größeren Schwierigkeiten heraushalten.

Anfang 1945 war er an der Elbe in der Nähe von Lauenburg stationiert und während von Osten das Geschützfeuer der roten Armee immer näher kam und ein Bomber nach dem anderen über ihn hinweg flog, um Dresden, Berlin oder Leipzig zu zerstören, kam meinem Vater eine blendende Idee. Er packte die wichtigsten Sachen zusammen, fälschte sich einen Versetzungsbefehl und gab Fersengeld. Auf seinem Weg nach Süden schnitt ihm die rote Armee den Weg ab und mein Vater konnte sich gerade noch retten, indem er die Elbe durchschwamm, was im Frühjahr 1945 nicht gerade ein warmer Badespaß war.

Auf der Westseite der Elbe erwartete ihn die Kriegsgefangenschaft in einem amerikanischen Lager. Bei einer Verlegung per Bahn, die aufgrund der großen Zerstörungen immer wieder mit langen Standzeiten der Züge einherging, machte sich mein Vater erneut auf den Weg und floh aus der Gefangenschaft eines Viehwagons. Als er sich umblickte, endeckte er ein Schild. Es hing schief und war von Granatsplittern durchlöchert, aber man konnte noch etwas lesen: „Braunschweig“.[/one-half]

zurück / weiter

One Comment

  1. Deine Geschichte ist einfach wunderschön zu lesen. Gerade habe ich sogar eine Gänsehaut bekommen.
    Mein Vater wurde in Brünn geboren und auch Er war damals in amerikanischer Gefangenschaft. Nur wollte Papa über diese Zeit nie reden.
    Ich freue mich schon auf die nächsten Kapitel.

    LG Dagmar

Leave A Reply Antworten abbrechen